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Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt

FWI: Künstliche Realitäten im MAVEL Lab

Neues Aushängeschild der THWS entsteht am Schweinfurter Ledward Campus

 © Stefan Bausewein

Seit über zehn Jahren beschäftigt sich die THWS im hauseigenen VR-Labor mit virtuellen und erweiterten Realitäten. Nun soll das MAVEL Lab als neues Multisensorik-Labor den technologischen Entwicklungen der letzten Jahre gerecht werden und neue Maßstäbe setzen. Die möglichen Versuchsanwendungen sind nahezu unbegrenzt.

Ein Mitarbeiter reicht einem Herrn in weißem Hemd und Sakko die Virtual Reality (VR)-Brille und die dazugehörigen Controller. Wenig später erforscht der Mann in einer virtuellen Realität die Ritterkapelle in Haßfurt. Er dreht sich langsam um die eigene Achse, den Kopf mal nach links, mal nach rechts geneigt, den Mund vor Staunen leicht geöffnet. Wenige Meter neben ihm steht ein zweiter Mann mit einer ähnlichen Brille, der mit seinen Fingern Knöpfe zu drücken und mit Gegenständen im virtuellen Raum zu interagieren scheint. Das großflächige, beinahe würfelförmige Labor ist gefüllt mit Besuchern, die virtuelle Umgebungen erkunden oder sich darüber austauschen. Wo die beiden Männer für den äußeren Betrachter verborgene Welten erforschen, stand keine zwanzig Minuten zuvor noch der bayerische Ministerpräsident mit 3D-Brille vor der riesigen Frontwand des Labors. Nachdem Markus Söder die THWS beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen beglückwünscht hatte, besuchte er das neue Labor der Hochschule – das MAVEL Lab.

Die Abkürzung MAVEL steht für Mixed Augmented Virtual Experience Learning. Künstliche (Virtual Reality) und erweiterte (Augmented Reality) Realitäten spielen bei der Forschung im Schweinfurter Labor eine tragende Rolle. „Wir sind aus dem VR-Labor der Hochschule entstanden“, erklärt Florian Schuster, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen. „Da sich im Bereich Extended Reality (XR), also der erweiterten Realitäten wie VR und AR immer mehr Entwicklungen auftun, gab es Bedarf, das Labor weiterzuentwickeln“. Das „L“ in MAVEL steht für Learning. Neuartige Lern-Szenarien sollen umgesetzt werden. So könnten laut Schuster beispielsweise virtuelle Escape Rooms erzeugt werden, die man nur meistert, wenn man studiengangspezifische Aufgaben löst.

MAVEL Lab steht allen Studiengängen offen

Das Labor steht allen Studierenden und Lehrenden der THWS offen. Haben Arbeitsgruppen eigene Ideen, bietet das Laborteam den technischen Support zur Umsetzung. Den Kern des Teams bilden Florian Schuster, der technische Mitarbeiter Dominik Fritsch und Laborleiter Prof. Dr. Uwe Sponholz. Auch weitere Arbeitsgruppen werden im MAVEL Lab tätig sein, darunter die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Paul Pauli, dem Präsidenten der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Aktuell bestehe Bedarf an einer Vergrößerung des Teams, macht Dominik Fritsch deutlich. „Bisher sind wir praktisch nur zu zweit. Das Team sollte zusätzlich um einen Sound-Ingenieur und Designer im 2D- und 3D-Bereich ergänzt werden.“

Das Labor selbst befindet sich im Aufbau. Eigene Anwendungen werden künftig entstehen. Die technischen Voraussetzungen stimmen Schuster und Fritsch optimistisch. „Wir haben eine zehn Meter lange Wand zum Bespielen, dazu kommen die Wände links und rechts. So kommen wir insgesamt auf 130 Quadratmeter Projektionsfläche“, sagt Schuster. Außerdem gebe es eindrucksvollen 3D-Sound vom Fraunhofer Institut sowie eine Studiotechnik, die neben Präsenzlehre auch hybride Formate ermögliche.

Florian Schuster (rechts) erklärt einem Gast im MAVEL Lab die Benutzung der VR-Brille
Florian Schuster (rechts) erklärt einem Gast im MAVEL Lab die Benutzung der VR-Brille (© Felix Hüsch)
Markus Söder besichtigt das MAVEL Lab
Markus Söder besichtigt das MAVEL Lab (© Stefan Bausewein)

Über zwei Millionen Euro Fördersumme

Die Finanzspritze, die diese technischen Anschaffungen ermöglicht, konnte ein 160-seitiger Antrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft einbringen. Nachdem die Idee das Labors für gut befunden wurde, konnte den Verantwortlichen eine Fördersumme von über zwei Millionen Euro in Aussicht gestellt werden. „Wir haben insgesamt zwei Jahre Zeit, das Geld auszugeben“, erklärt Fritsch. „Die Hälfte davon ist rum und wir liegen aktuell bei Kosten von knapp über einer Million. Viele Kleinteile wie haptische Feedbackanzüge oder ein Geruchssimulator müssen noch gekauft werden.“

Auf die haptischen Feedbackanzüge freut Schuster sich schon ganz besonders. Diese könne man sich vorstellen wie einen Taucheranzug, mit dem man buchstäblich in eine virtuelle Welt eintauche. „Wenn in der künstlich erzeugten Realität irgendetwas passiert, man sich beispielsweise irgendwo anstößt, gibt der Anzug ein Feedback in Form eines elektrischen Impulses. So können wir die menschlichen Muskeln direkt über die virtuelle Welt ansprechen.“

Technische Hilfsmittel arbeiten vernetzt

Möglich werden solche Erfahrungen durch den Kern des Labors – die Stimulusmaschine. Um diese Wortneuschöpfung zu erklären, muss klar sein, worum es im neuen Spitzenlabor grundsätzlich geht. Das MAVEL Lab ist ein Multisensorik-Labor. Technische Hilfsmittel arbeiten zusammen, um eine künstliche, aber gleichzeitig möglichst reale Welt zu erzeugen. Es geht also um die Erzeugung von realitätsunabhängigen Reizen und Informationen, die verschiedene menschliche Sinne ansprechen sollen – multisensorisch eben. Sämtliche Hard- und Software, die zu diesem Zweck genutzt wird, bildet die Stimulusmaschine.

Florian Schuster (rechts) und Dominik Fritsch posieren im MAVEL Lab
Florian Schuster (rechts) und Dominik Fritsch im MAVEL Lab
Florian Schuster (rechts) und Dominik Fritsch (© Felix Hüsch)

Gerade für Studiengänge aus dem psychologischen Bereich wird das multisensorische Arbeiten im Labor viele Möglichkeiten bieten. Sobald das MAVEL Lab fertig aufgebaut ist, wird es unter anderem möglich sein, verschiedene Angstzustände zu erzeugen. Diesen Ängsten kann man sich in der virtuellen Welt stellen, um sie im Idealfall während der Anwendung zu überwinden. „Geplant ist ein Walk-the-plank-Szenario, bei dem Versuchspersonen in ihrer Wahrnehmung über eine Planke laufen müssen, die zwischen zwei Hochhäusern liegt. Das kann für Leute mit Höhenangst sehr schwierig sein“, so Fritsch. Die Virtual-Reality-Arbeitsgruppe der Würzburger Universität, die an einen Lehrstuhl für Psychologie angedockt ist, bringt hierbei viel Erfahrung mit ein.

Produkte vor deren Existenz erlebbar machen

Eine weitere Anwendung soll die Bewertung von Produkten sein. Das klingt soweit recht unspektakulär. An der THWS aber sollen bald Produkte bewertet werden, bevor sie überhaupt existieren. „Das funktioniert, indem wir sie für Personen erlebbar und direkt spürbar machen. Auch hier ist die Voraussetzung, dass künstlich erzeugte Feedbacks von der Person als real wahrgenommen werden können“, sagt Schuster. Dabei könne es sich laut ihm um jegliche Form von Produkt oder Dienstleistung handeln. Vom Architekten in einem selbst entworfenen Haus, das er dem Bauherrn vor Baubeginn vorstellt bis hin zum Zusammenbau von komplexen Maschinen in der Industrie sei alles möglich.

Zitat von Florian Schuster: „Wir können die künstlichen Realitäten erlebbar und direkt spürbar machen.“
Zitat von Dominik Fritsch: „Ich habe die Vorstellung, dass irgendwann viele Arbeitsgruppen an einem Tisch sitzen und sich gemeinsame Projekte überlegen.“

Zwar sind diese Anwendungen bisher noch Zukunftsmusik. Ideen dafür, wie das MAVEL Lab bald multifunktional eingesetzt werden kann, gibt es aber genug. Bis dahin sind noch viele kleine Schritte zu gehen. Weitere Technik muss gekauft und Hardware in Betrieb genommen werden. Außerdem müssen organisatorische Fragestellungen geklärt und koordiniert werden. Rückblickend auf die Zeit seit der Findungsphase und in Aussicht auf ein zukünftig einsatzbereites Labor nehmen Schuster und Fritsch den aktuellen Workload gerne auf sich. „Als damals entschieden wurde, dass das VR-Labor weiterentwickelt werden soll, hat es lange gedauert, eine konkrete Idee aufs Papier zu bringen“, erinnert sich Fritsch. „Seitdem ist einiges passiert und ich habe die Vorstellung, dass irgendwann viele Arbeitsgruppen an einem Tisch sitzen und sich gemeinsame Projekte für Forschung und Lehre überlegen.“

Ein Artikel von 
Felix Hüsch