Die Trauer um einen geliebten Menschen ist ein sensibles Thema – umso wichtiger ist der richtige Umgang damit. Wie dieser aussehen kann und wieso die richtige Vorbereitung entscheidend ist, hat Prof. Dr. Steffen Hillebrecht von der THWS in Kooperation mit einem Ingenieurbüro untersucht.
Veröffentlicht am 17.10.2023
Es ist rund 20 Jahre her, dass Prof. Dr. Steffen Hillebrecht den Selbstmord eines jungen Mannes mit eigenen Augen beobachten musste. „Ich habe damals in Leipzig gewohnt und gesehen, wie jemand vom Balkon des fünften Stocks aus dem Nachbarhaus sprang“, erinnert er sich. Die Mutter des Mannes sei noch hinterhergerannt, habe seinen Namen geschrien. Doch es sei bereits zu spät gewesen.
Es ist wohl diese Erfahrung, die Hillebrecht, Professor an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften, im vergangenen Jahr auf die Idee für ein besonderes Projekt gebracht hat. In Kooperation mit Dipl.-Ing. Heinke Wedler und Stefan Hund vom Ingenieurbüro für Arbeitssicherheit und betriebliches Gesundheitsmanagement in Laudenbach beschäftigten sich Hillebrecht und seine Studierenden mit den Themen Tod und Trauer sowie dem richtigen Umgang im Unternehmenskontext.
Wie wichtig ein adäquater Umgang mit diesem sensiblen Thema ist, bekam Hillebrecht vor einigen Jahren am eigenen Leib zu spüren. Er war 35 Jahre alt, als seine Mutter plötzlich verstarb. Damals arbeitete er in einem Unternehmen christlicher Trägerschaft. „Die Seelsorge war schnell und zuverlässig“, erinnert er sich. Die Unterstützung habe er dankend angenommen. „Dadurch hatte ich den Kopf frei und konnte mich auf die Arbeit konzentrieren. Das hat mir sehr geholfen.“
Trauer betrifft auch junge Menschen
Doch interessiert das Thema auch jüngere Menschen? Kooperationspartner Stefan Hund hatte hier seine Bedenken. „Anfangs hatten wir Angst, die Studierenden würden sich nicht an das Thema herantrauen“, gibt er zu. Doch diese Sorge stellte sich als unbegründet heraus. Sofort meldeten sich sechs Studierende, die Interesse hatten. „Ich hätte das Thema sogar doppelt belegen können“, sagt Hillebrecht im Nachhinein.
Im Vorfeld hatte sich das Ingenieurbüro die Frage gestellt: Welchen Bezug haben Mitte-20-Jährige zu diesem Thema? Die spätere Antwort: Einen sehr großen. „Vom Verlust der Großeltern bis hin zum Tod des geliebten Haustiers waren alle Studierenden bereits mindestens einmal in ihrem bisherigen Leben mit dem Thema Trauer konfrontiert gewesen“, sagt Hund.
Umgang mit Tod und Trauer kostet Unternehmen jährlich Milliarden
Trotz der bestehenden Relevanz gäbe es nur wenige Artikel zu dem Thema, erklärt Hund. „Es ist ein klassisches HR-Thema – und gleichzeitig auch nicht.“ Die jährlichen Kosten, die Trauer und Tod in Unternehmen mit sich ziehen, befinden sich Schätzungen nach im zweistelligen Milliardenbereich. Somit handelt es sich hierbei um das potenziell teuerste Aufgabengebiet für Unternehmen.
Ein weiteres Problem neben den Kosten? „Den Brand kann man versichern, die Trauer nicht“, erklärt Wedler, deren Unternehmen sich auf Arbeitssicherheit und betriebliches Gesundheitsmanagement spezialisiert hat. „Prävention ist uns sehr wichtig“, betont sie. Doch wie funktioniert die richtige Vorbereitung für den Trauerfall? Hinsichtlich der richtigen Vorbereitung für einen Trauerfall spricht Hund von einem „Dreiklang“, bestehend aus einem „schwarzen Brandschutzordner“, monatlichen Gruppen-Trainings sowie einer Notfall-Telefonnummer. Diese soll im Ernstfall zeitnah Unterstützung bieten durch bundesweite Berater mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Die wichtigsten Ergebnisse
Im Rahmen der Kooperation füllten teilnehmende Unternehmen einen Umfragebogen aus. Was beide Kooperationspartner überraschte? 80 Prozent der Teilnehmenden sagten, sie hätten bereits einen Trauerfall erlebt, der ihre Arbeit beeinflusst habe. Noch wichtiger: Ungefähr genauso viele sagten aus, sie hätten sich eine Handlungsempfehlung für den adäquaten Umgang gewünscht.
Die Kooperationspartner führten ein Zoom-Interview und streamten es auf LinkedIn. Das Thema stieß auf großes öffentliches Interesse, über tausend Zuschauer waren live dabei. „Damit wurde ein Tabu gebrochen“, sagt Hund. Am Ende ist daraus ein eigener Podcast entstanden. In „Das Schwere LEICHT gesagt – Wir holen „Trauer im Unternehmen“ aus der teuren Tabu-Ecke“ teilen verschiedene Expertinnen und Experten auf unterschiedlichen Themengebieten ihr Fachwissen mit, vom Tatortreiniger bis zur Beraterin nach einem Suizid.
Die richtige Vorbereitung ist entscheidend
„In dem Moment, in dem Sie als Führungskraft mit Trauer konfrontiert werden, müssen Sie eine Antwort parat haben“, betont Hund. Umso wichtiger sei ein Leitfaden, aus dem sich die richtige Handlung ableiten lasse. „Das kann man gut vorbereiten.“
Die Führungskraft solle zunächst das persönliche Gespräch suchen. „Der allererste Kontakt ist der wichtigste“, betont Hund. Dabei ginge es darum, dem Mitarbeitenden zu vermitteln, dass er einem als Mensch wichtig sei, nicht nur als „Human Resource“. Auf dieser Basis könne ein bereits bestehendes Vertrauensverhältnis gestärkt werden. „Verschanzt sich die Führungskraft hingegen in ihrem Büro und sagt: ‚Trauer ist eine Privatangelegenheit – Sie haben hier die volle Leistung abzurufen‘, ist diese Basis für immer verschenkt“, sagt Hund.
Bei Tod und Trauer ginge es um weit mehr als nur den Verlust eines nahen Angehörigen. Eine Scheidung, eine Trennung oder eine Krebserkrankung stellen ebenfalls einen enormen Einschnitt ins Leben dar und erfordern einen sensiblen Umgang. „Auch eine Fehlgeburt ist immer noch ein Tabuthema, hat aber für die Eltern, deren eingerichtetes Kinderzimmer nun doch leer bleibt, eine enorme Auswirkung“, sagt Hillebrecht. Der Schmerz der Eltern werde oft nicht ernst genommen.
„Wenn das Unternehmen den Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellt, sind sensible Themen eher ansprechbar, als wenn es nur um die Arbeitsleistung geht“, sagt Wedler. Interne Schulungen seien wichtig. Egal ob jährlich oder monatlich. Sie sorgen dafür, dass das Thema innerhalb des Unternehmens geklärt werden kann.
Positives Fazit
Um die Kommunikation zwischen der THWS und dem Ingenieurbüro zu vereinfachen, haben die Studierenden eine Sprecherin gewählt, Lisa Bauer. Mit ihr stand Hund in regelmäßigem Austausch, für Updates und Fragen. „Wo sind Schwierigkeiten? Wo wird vielleicht noch Input gebraucht?“, so Hund. Die Seminararbeit erstreckte sich übers ganze Wintersemester. Die finale Abgabe erfolgte Mitte Januar und konnte mit 104 auswertbaren Fragebögen einen ersten quantitativen Überblick über das Thema für den deutschen Sprachraum schaffen.
Wie die Studierenden das Thema umgesetzt haben? „Wunderbar“, sagt Hund. Auch Wedler zieht ein positives Fazit. „Dieses gemeinsame Projekt, dieser Know-how-Transfer, war eine großartige Erfahrung. Sowohl die Zusammenarbeit mit Herrn Prof. Dr. Hillebrecht als auch mit den Studierenden war vorbildlich“, lobt sie. Eine weitere Kooperation mit der THWS können sich beide gut vorstellen „Für uns war das Projekt ein voller Erfolg“, sagt Wedler.