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Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt

Und täglich grüßt die Hochschuldelegation

Die FHWS war zur Zeit der Wende ein wichtiger Ansprechpartner für Hochschulen der ehemaligen DDR

 © Archiv Prof. Krah

Mit der Wiedervereinigung fiel nicht nur die Mauer, auch das Hochschulsystem in den neuen Bundesländern musste neu ausgerichtet werden. Eine enorme Herausforderung, bei der die Hochschulen aus dem Osten auf die Unterstützung der FHWS zählen konnten.

Wir schreiben das Jahr 1989. Der Mauerfall steht kurz bevor – und damit eine Zeitenwende auch für Hochschulen wie jene im sächsischen Mittweida, die zu dieser Zeit noch Ingenieurhochschule heißt und in der damaligen DDR Universitäten gleichgestellt ist. Sie verfügt im technischen Bereich über das Promotionsrecht und bildet in der Industrie begehrte Fachkräfte aus. Geschätzt werden diese Fachkräfte beispielsweise auch im knapp 220 Kilometer entfernten Schweinfurt, wo die Firma Kugelfischer ihren Sitz hat. Bereits seit Ende des Zweiten Weltkriegs rekrutiert der Wälzlagerhersteller einige seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Ingenieurhochschule Mittweida und pflegt enge Kontakte dorthin.

Diese Kontakte weiten sich auf die FHWS aus, als die Hochschule Mittweida im September 1989 eine internationale Wissenskonferenz veranstaltet. Solche internationalen Tagungen gab es in Mittweida bereits zuvor – in Zeiten des Eisernen Vorhangs war die Internationalität allerdings auf Länder aus dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) begrenzt. Bei besagter Konferenz im September 1989 erfolgte dann jedoch die Kehrtwende: Der damalige Rektor Prof. Dr. Gerhard Zscherpe setzte im Senat der Hochschule durch, dass die Möglichkeit zur Teilnahme auch in westlichen Ländern ausgeschrieben wird.  

Diese Einladung erreichte auch die Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Aufgrund der bestehenden industriellen Kontakte von Mittweida nach Schweinfurt meldeten sich der damalige Präsident Prof. Dr. Wolfgang Fechner und Kanzler Dr. Jürgen Herzog an. Gleichzeitig erhielt in Mittweida Prof. Dr. Lothar Otto den Auftrag, die anreisenden Gäste während der Konferenz zu betreuen. „Ich war damals Verwaltungsdirektor und wurde der FHWS zugeordnet“, erklärt Otto, der spätere Kanzler der Hochschule Mittweida. Mit der Delegation der FHWS habe er sich direkt sehr gut verstanden. Der heute 74-Jährige erinnert sich: „Bei der Abreise sagte Fechner zu mir: ‚Nun müssen Sie zu uns auf Besuch kommen!‘ Da habe ich geschmunzelt und gesagt: ‚Ja, natürlich! Sobald es möglich ist, bin ich bei Ihnen!‘ Aber der Glaube daran hat mir gefehlt.“

Doch der Lauf der Geschichte sollte Prof. Dr. Otto eines Besseren belehren: Nicht einmal zwei Monate dauerte es nach der Konferenz, bis am 9. November 1989 die Mauer an der innerdeutschen Grenze fiel. Gerade mal weitere neun Tage dauerte es im Anschluss, bis Prof. Dr. Otto in Schweinfurt an der Pforte der FHWS stand und seinerseits von Prof. Dr. Fechner und Dr. Herzog begrüßt wurde. „Damit begann eine Freundschaft, die auch nach dem Tod von Fechner bis heute angehalten hat“, sagt Otto mit Stolz in der Stimme. 

Parallel zur Freundschaft begann auch die Aufbauarbeit für die Hochschulen. Prof. Dr. Norbert Krah, ehemaliger Direktor der Ingenieurschule Schmalkalden, erklärt: „Damals wurde dem System der DDR fast gänzlich das BRD-System übergestülpt. Das waren sehr herausfordernde Zeiten.“ Auch Schmalkalden, das gut 80 Kilometer nördlich von Schweinfurt liegt, musste jetzt um den Status als Hochschule kämpfen. Prof. Dr. Krah hatte dabei schon seit 1987 Kontakte an die FHWS geknüpft, die sich besonders über den Dekan des Fachbereichs Maschinenbau, Prof. Dr. Rolf Schneider, gut entwickelten: „Rückblickend war vor allem der menschliche Austausch wertvoll. Diese anderen Blickwinkel haben mir dabei geholfen, das nötige Selbstbewusstsein aufzubauen, um die herausfordernde Übergangszeit zu meistern.“ Die Gründung als Fachhochschule der heutigen Form erfolgte in Schmalkalden am 1. Oktober 1991.

Gruppenfoto
Der Direktor der Ingenieurschule Schmalkalden Dr.-Ing. Norbert Krah (rechts) mit dem Dekan des Fachbereichs Maschinenbau der FHWS, Prof. Rolf Schneider (Mitte), 1988 im CAD/CAM-Labor der Ingenieurschule Schmalkalden am japanischen Roboter RM 501 (Quelle: Archiv Prof. Dr.-Ing. Norbert Krah)
Zitat von Prof. Dr. Lothar Otto: „Der Funke einer zündenden Idee entsteht nicht über virtuellen Kontakt, sondern nur im persönlichen Gespräch. Diese Ideen am Biertisch sind die treibenden Kräfte für Veränderungen!“

Der Würzburger Altkanzler Dr. Herzog blickt mit einem Schmunzeln zurück, insbesondere auf die Zeit direkt nach der Wende: „In der Zeit von Januar bis Anfang Juli 1990 stand jeden Tag unangemeldet eine Delegation aus einer der thüringischen Hochschulen in Schweinfurt vor der Tür. Das muss man sich mal vorstellen!“ Weil es damals keine verlässlich funktionierenden Telefonverbindungen in die DDR gegeben habe, ließen sich die Gäste im Schnellverfahren unterrichten, wie Verwaltung und Hochschulhaushalt umzustellen seien. Für Otto war und ist vor allem der persönliche Kontakt entscheidend für eine gute Zusammenarbeit: „Der Funke einer zündenden Idee entsteht nicht über virtuellen Kontakt, sondern nur im persönlichen Gespräch. Diese Ideen am Biertisch sind die treibenden Kräfte für Veränderungen.“

Auch Prof. Dr. Krah aus Schmalkalden betont, dass damals nicht materielle Unterstützung im Vordergrund stand, sondern vielmehr der ideelle Wert des Kontakts: Respekt, Offenheit und menschliches Miteinander seien die wesentlichen Bausteine der deutsch-deutschen Hochschul-Beziehung gewesen. Prof. Dr. Otto ergänzt rückblickend: „Wenn diese Werte auch politisch eine größere Rolle gespielt hätten, dann hätte es gerade in meiner Generation deutlich weniger Verbitterung bezüglich des Beitritts gegeben.“ Dr. Herzog von der FHWS unterstreicht dies: „Geld haben wir damals für unsere Hilfe keines bekommen. Aber das wollten wir auch gar nicht! Wir waren so voller Idealismus und Euphorie zu dieser Zeit.“ 

Zitat von Dr. Jürgen Herzog: „In der Zeit von Januar bis Anfang Juli 1990 stand jeden Tag unangemeldet eine Delegation aus einer der thüringischen Hochschulen in Schweinfurt vor der Tür. Das muss man sich mal vorstellen!“

Konkret sei es damals neben administrativen Angelegenheiten wie der Finanzierung insbesondere um strategische Fragen gegangen: So gab Mittweida auf Anraten der FHWS das Promotionsrecht auf und integrierte die Medienausbildung in die eigentlich auf technische Studiengänge ausgelegte Hochschule. Prof. Dr. Otto lacht, als er an die Einführung der Medienausbildung zurückdenkt: „Dazu muss man wissen, dass die Medienausbildung an Fachhochschulen eigentlich nicht offiziell gelehrt werden durfte. Fechner sagte zu mir: ‚Das weiß doch im Osten noch niemand... Versteck sie einfach in irgendeiner Fakultät!‘ Das haben wir dann auch gemacht und die Medientechniker zunächst in die Fakultät Elektrotechnik eingefügt.“ Mit Erfolg: Mittlerweile ist dieser Bereich eine eigene Fakultät mit über 1.000 Studierenden in den klassischen Medienberufen geworden. Insgesamt ist die Hochschule Mittweida von 2.000 Studierenden zur Zeit der Wende auf heute 7.000 gewachsen.

Heute sind nach über 30 Jahren aus dieser Zeit die persönlichen Beziehungen geblieben: Prof. Dr. Otto und Dr. Herzog sind noch immer befreundet und sehen sich regelmäßig. Im Gegensatz dazu sind die Verbindungen zwischen den Hochschulen nicht mehr intakt. Der Kontakt nach Schmalkalden riss schon bald nach der Wende ab. Zu Mittweida hielt der Kontakt noch ein wenig länger, aber kam nach einigen Jahren durch Führungswechsel an den Hochschulen ebenfalls zum Erliegen. Für die Zukunft wünschen sich Prof. Dr. Otto und Dr. Herzog unisono, dass der Austausch wiederaufgenommen werde, da man nur von den Erfahrungen profitieren könne. Herzog schränkt die Wünsche mit einem Schmunzeln ein: „Tägliche Besuche der Delegationen sind heute aber, glaube ich, nicht mehr nötig.“ 

Portrait Manuel Fröhlich

Ein Artikel von 
Manuel Fröhlich