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Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt

Jinan Sakaan: „Man muss immer nach vorne schauen“

Mit Engagement und Herzblut bei der Sache

 © Stefan Bausewein

Mit 17 Jahren kam Jinan Sakaan ohne jegliche Deutschkenntnisse aus Syrien nach Deutschland. Heute studiert sie Betriebswirtschaft an der THWS, arbeitet bei einer Bank – und nutzt ihre persönliche Erfahrung dazu, Geflüchtete bei ihrer Ankunft in Deutschland zu unterstützen.

Welche Bedürfnisse haben Studierende, die als Geflüchtete in Deutschland angekommen sind? Welche Herausforderungen müssen Studieninteressierte in einem Land meistern, dessen Sprache sie noch nicht sprechen? Das sind Fragen, die die beiden studentischen Koordinatorinnen des Welcome Teams an der THWS, Annalena Hierhammer und Katja Haas, nur durch ihre jahrelange Arbeit in diesem Bereich beantworten können. THWS-Studentin Jinan Sakaan hat diese Situation selbst erlebt und versucht, ihr Wissen und ihre persönlichen Erfahrungen dazu zu nutzen, Geflüchteten in Würzburg zu helfen.

Eine Zeit des Wartens

Als Jinan Sakaan 17 Jahre alt war, flüchtete sie mit ihrer Familie aus dem syrischen Aleppo nach Deutschland. Die Familie hatte bei ihrer Flucht kein konkretes Ziel in Deutschland, keine Anlaufstelle. Durch Zufall kam Jinan mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder zunächst in einer Gemeinschaftsunterkunft in Kitzingen unter. Etwa einen Monat lang lebten sie in einer großen Halle mit zahlreichen weiteren Geflüchteten, anschließend kamen sie mit drei weiteren Familien in einem Haus in Kitzingen unter. Es war eine Zeit des Wartens für Jinan und ihre Familie. Bis alle bürokratischen Vorgänge abgeschlossen waren, konnte sie in Deutschland weder arbeiten noch studieren. „Wir mussten fast neun Monate abwarten und konnten nichts machen“, erzählt sie. „Wir waren schon in der Schule, aber nicht in einer offiziellen Schule, sondern in einem Integrationskurs, um Deutsch zu lernen.“

Als Jinan nach Deutschland kam, sprach sie kein einziges Wort Deutsch. Heute, nach sieben Jahren in Deutschland, hat sie einen umfassenden Wortschatz und keinerlei Scheu, Deutsch zu sprechen. Das Sprachtalent liegt in Jinans Familie: Ihre Mutter spricht sechs Sprachen und ihr älterer Bruder lernt neue Sprachen noch schneller als sie selbst, erzählt Jinan lachend. Als schließlich klar war, dass Jinan und ihre Familie in Deutschland bleiben konnten, fanden sie eine Wohnung in Höchberg, die bis heute ihr Zuhause ist.

Zitat Jinan Sakaan: " „Aber dann habe ich mir gesagt: Was ist, wenn ich mich in zehn Jahren frage: Warum habe ich nicht studiert?“

Mit zunehmenden Deutschkenntnissen begann Jinan, sich über ihre berufliche Zukunft zu informieren. Zunächst dachte sie über eine Ausbildung nach und bewarb sich für ein Praktikum im Bereich Zahntechnik. „Aber dann habe ich mir gesagt: Was ist, wenn ich mich in zehn Jahren frage: Warum habe ich nicht studiert?“

Damit stand die Entscheidung für ein Studium fest. Durch ihren Job bei s.Oliver, wo sie neben ihrem Sprachkurs als Aushilfe arbeitete, entwickelte sie ein Interesse für wirtschaftliche Zusammenhänge und entdeckte ihre Kommunikationsfähigkeit. „Ich habe gemerkt, dass ich kontaktfähig bin“, erzählt sie. „Mit dem Studiengang BWL hat man danach so viele Möglichkeiten.“

Jinan entdeckte, dass internationale Studierende an der THWS bereits mit dem Sprachniveau B2 ihr Studium aufnehmen können. An vielen anderen Hochschulen sei die Voraussetzung C1 gewesen, erzählt sie. So fiel die Entscheidung für den Studiengang Betriebswirtschaft an der THWS. Ihren Sprachkurs schloss Jinan trotzdem mit dem C1-Zertifikat ab. „Ich wollte unbedingt das C1-Zeugnis haben“, sagt Jinan. So wie sie es erzählt, klingt es wie eine Kleinigkeit.

Eigene Erfahrungen weitergeben

Zu Beginn gab es für Jinan an der THWS einige Herausforderungen rund um organisatorische Themen des Studiums. Oft war sie dabei auf Hilfe angewiesen. Unter anderem deshalb entschied sie sich, als studentische Hilfskraft das Welcome Team der THWS zu unterstützen. Das Welcome Team bietet, gefördert durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), Beratung und Hilfe für Geflüchtete an der Hochschule an. „Das Besondere am Welcome Team ist, dass wir ein studentisches Projekt sind und nur aus Studierenden der THWS bestehen,“ erklärt Katja Haas, die seit rund zwei Jahren für die Koordination des Welcome Teams zuständig ist und eng mit Jinan zusammengearbeitet hat.

Seit 2016 unterstützt die THWS mit dem Welcome Team Studieninteressierte bei Anträgen, der Bewerbung für das Studium oder finanziellen Fragen. Für Studierende mit Fluchthintergrund organisiert das Team Angebote wie das Sprachcafé oder Sprachtutorien. Am Aufbau des Sprachcafés war Jinan während ihrer Zeit im Welcome Team maßgeblich beteiligt. „Jinan konnte im Sprachcafé bei Problemen helfen, in die Katja und ich uns als Muttersprachlerinnen gar nicht hineinversetzen konnten“, berichtet Annalena Hierhammer, die gemeinsam mit Katja Haas das Team koordiniert. Für den Kurs konnte Jinan auf ihre eigenen Erfahrungen zurückgreifen. „Man lernt am besten, wenn man zuhört und natürlich viel übt“, erzählt sie. „Man darf keine Angst davor haben, Fehler zu machen. Ich mache auch Fehler, natürlich ist mein Deutsch nicht perfekt, aber ich habe den Mut, immer zu sprechen.“

Zitat Annalena Hierhammer: „Jinan konnte im Sprachcafé bei Problemen helfen, in die Katja und ich uns als Muttersprachlerinnen gar nicht hineinversetzen konnten.“
Dr. Daniel Wimmer und Jinan Sakaan bei der Preisverleihung
Dr. Daniel Wimmer, Leiter des Hochschulservice Internationales, überreichte der strahlenden Jinan den DAAD-Preis 2021 (© Nataliya Kudelya)

Acht Stunden pro Woche arbeitete Jinan für das Welcome Team. Trotzdem fand sie neben dem Studium noch die Zeit, sich auch ehrenamtlich für Geflüchtete einzusetzen. Im paritätischen Wohlfahrtsverband engagierte sie sich als Sprach- und Kulturvermittlerin und unterstützte Geflüchtete beispielsweise bei Behördengängen oder Arztbesuchen. Ihr Einsatz blieb auch ihren Kolleginnen im Welcome Team nicht verborgen, weshalb diese Jinan kurzerhand überzeugten, sich für den DAAD-Preis zu bewerben. Bei der Erwähnung des Preises erscheint ein strahlendes Lächeln auf Jinans Gesicht. „Ich konnte es nicht glauben und ich kann es jetzt auch immer noch nicht glauben“, erzählt sie über den Moment, als sie erfuhr, dass sie den mit 1.000 Euro dotierten Preis gewonnen hatte. Die Auszeichnung des DAAD soll internationale Studierende an deutschen Hochschulen würdigen und war damit, nicht nur in den Augen ihrer Kolleginnen Annalena Hierhammer und Katja Haas, bei Jinan Sakaan genau an der richtigen Stelle.

Zukunft und Vergangenheit im Blick

Auch über die Wahl ihres Studiengangs ist Jinan heute noch sehr glücklich. Als Schwerpunkt entschied sie sich für Financial Services und Steuern. Ihr Praktikum absolvierte sie im Wintersemester 2021/22 bei der Hypovereinsbank, wo sie herzlich aufgenommen wurde. Ihre Begeisterung ist ihr noch deutlich anzumerken. „Ich liebe einfach Finanzen“, sagt sie strahlend. In ihren Vorlesungen bei Prof. Dr. Franz-Josef Eichhorn habe sie festgestellt, dass ihr Herz für Finanzen schlägt. Auch nach dem Praktikum blieb sie der Bank als Werkstudentin treu und arbeitet nun an zwei Tagen pro Woche dort. „Ich bin in der Abteilung Vermögenskundenberatung und ich liebe die Mischung aus der Arbeit mit Kunden und mit Dokumenten.“

Nach dem Studium im Bereich Finanzen und Investment in den Beruf einzusteigen, kann sich die 24-Jährige gut vorstellen. Doch zunächst will sie einen Master machen. „Ich studiere, so lange es geht“, sagt sie lachend. Am liebsten würde sie dafür an der THWS bleiben, auch weil Würzburg ihre neue Heimat geworden ist. „Ich mag jede Ecke in Würzburg. Ich vermisse schon meine Heimat, aber ich fühle mich hier zuhause.“ Mit ihrer Familie wohnt Jinan nach wie vor in Höchberg, mittlerweile jedoch auf zwei Etagen. Gemeinsam mit ihrem älteren Bruder, der an der THWS E-Commerce studiert, bewohnt sie das untere Stockwerk, die Eltern wohnen oben. „Das ist praktisch, dann kann ich immer Essen von meinen Eltern klauen“, sagt sie lachend.

Kontakt zu ihrer Familie und Freunden in Syrien hat Jinan nach wie vor. Ihr Onkel und ihre Cousinen leben dort und auch ihre beste Freundin, mit der sie regelmäßig telefoniert. Genau wie Jinan möchte diese gerne in Deutschland studieren, doch die Finanzierung und auch der Weg nach Deutschland seien eine große Hürde. Jinan selbst war mit ihrer Familie zwei Wochen unterwegs, bevor sie Deutschland erreichten. „Wir haben damals wirklich alles probiert“, erzählt sie. „Vieles davon kann ich auch nie wieder vergessen, aber man muss immer nach vorne schauen.“

Und Jinan schaut nach vorne, mit ihrem Studium, ihrem neuen Nebenjob und ihren Plänen für das Masterstudium. Doch durch ihr Engagement zeigt die 24-Jährige auch, dass sie ihren Weg dorthin nicht vergessen hat – und nun andere Menschen dabei unterstützen möchte, ihren eigenen Weg in Deutschland zu finden.

 

Infos zum Welcome Projekt an der THWS und weitere Angebote für Geflüchtete

Jinan Sakaan vor der Würzburger Mainbrücke
Seit 2015 lebt Jinan mit ihrer Familie in der Würzburger Umgebung. Sie fühlt sich in der unterfränkischen Stadt Zuhause und möchte auch ihren Master dort machen (© Jinan Sakaan)
Portrait Nina Kammleiter

Ein Artikel von 
Nina Kammleiter