Prof. Dr. Sibylle Wollenschläger war Richterin, Professorin für Familienrecht und Vizepräsidentin der FHWS. Bis heute ist sie vielfältig engagiert – und auch im Familienleben macht die vierfache Mutter und achtfache Großmutter keine Abstriche bei ihrem Einsatz.
Ein Aufleuchten der Autoscheinwerfer schon von Weitem, ein Winken durch die Scheibe, und nach dem Aussteigen ein Lächeln. Wenn Prof. Dr. Sibylle Wollenschläger da ist, dann bemerkt man sie. Die Vizepräsidentin a. D. der FHWS strahlt Tatkraft aus, als sie in ihrem burgunderroten Kleid die Hochschule betritt und mit zügigen Schritten in ihren Stiefeletten die Treppen hinaufsteigt. An diesem Ort hat sie viel Zeit verbracht, hat neben ihrer Lehrtätigkeit verschiedene Ämter bekleidet. Sie war Frauenbeauftragte, Vorsitzende des Prüfungsausschusses, Vizepräsidentin und schließlich wissenschaftliche Leiterin des Campus Weiterbildung. Von vielen der Passierenden wird sie gegrüßt oder in ein kurzes Gespräch verwickelt. Auf der Dachterrasse der Hochschule in der Münzstraße 12 angekommen, lächelt sie. „Ich mag viele Plätze in und um Würzburg gerne, aber hier oben ist einer meiner Lieblingsorte“, erklärt die 72-Jährige und streicht sich die hellblonden Haare aus dem Gesicht.
Eine Juristin mit Durchsetzungsvermögen
Die gebürtige Nürnbergerin lebt bereits seit ihrer Schulzeit in Würzburg. Ihre Familie besteht aus lauter Juristinnen und Juristen – da war auch für sie das Jurastudium schon früh der erklärte Weg. Zu Beginn ihres Studiums 1967 war es noch eine Seltenheit, dass eine Frau Jura studiert. Wollenschläger spricht von acht Prozent Frauen in ihrem Studiengang an der Universität Würzburg. Nach ihrer Promotion arbeitete sie als Rechtsreferendarin am Oberlandesgericht Würzburg. Dass die Justiz männerdominiert war, bekam sie auch hier teilweise zu spüren. „Es gab schon Männer, vor allem Ältere, die der Meinung waren, eine Frau habe da nichts zu suchen“, erzählt Wollenschläger und macht sofort deutlich, wie wenig sie das beeindruckte. „Man muss halt schauen, dass man sich durchsetzt. Wenn man sich einen solchen Beruf aussucht, dann braucht man doch ein gewisses Selbstbewusstsein.“
Mit diesem Selbstbewusstsein durchlief die Juristin verschiedene Stationen als Richterin und Staatsanwältin – und fokussierte sich schließlich auf das Familienrecht. Dabei ging es nicht selten um schwerwiegende Entscheidungen wie die Herausnahme eines Kindes aus der Familie aufgrund von Gewalt oder Missbrauch. „Die Entscheidung, ein Kind der elterlichen Sorge zu entziehen, ist ein massiver Eingriff in die Familie“, berichtet sie und ihre lebhaften blauen Augen werden bei diesem Thema ernst. Doch man merkt der ehemaligen Richterin an, dass sie auch mit solchen Situationen gut umgehen konnte und ihren Beruf trotz schwerwiegender Entscheidungen mit Leidenschaft ausübte.
Als Mutter von vier Söhnen arbeitete Wollenschläger in dieser Zeit halbtags. Da sie als Richterin ihre Zeit relativ frei einteilen konnte, empfand sie die Kombination aus Familie und Beruf nie als besonders problematisch. Neben Beruf und Kindern nahm auch ihr außerberufliches Engagement einen großen Teil ihrer Zeit in Anspruch. Durch die Arbeit ihres Mannes kam sie mit dem Thema Zuwanderung in Berührung und engagiert sich bis heute in der deutschen Sektion der AWR, der Gesellschaft zur Erforschung des Weltflüchtlingsproblems.
Als Präsident des wissenschaftlichen Beirats der AWR schätzt Prof. Dr. Ralf Roßkopf vor allem die Verlässlichkeit und die Offenheit in der Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Sibylle Wollenschläger. „Obwohl sie aus einem anderen Bereich kommt, hat sie zunächst dieses Anliegen ihres Mannes mitgetragen und sich dann auch zu eigen gemacht. Sie ist seit Jahrzehnten Funktionsträgerin der Gesellschaft und trotz Höhen und Tiefen immer dabeigeblieben“, berichtet Roßkopf, der auch als Professor an der FHWS-Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften mit Wollenschläger zusammengearbeitet hat. Für ihr Engagement bei der Erforschung des Weltflüchtlingsproblems wurde Wollenschläger 2012 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Neue Herausforderungen für die Würzburgerin
Trotz ihres vielseitigen Engagements sehnte sich Wollenschläger Ende der 1990er Jahre nach einer beruflichen Veränderung. „Ich dachte, wenn ich jetzt nicht mein Leben umstülpe, dann falle ich noch irgendwann tot von meinem Richterstuhl“, sagt sie lachend. Bereits während ihrer Tätigkeit als Richterin hatte sie Lehraufträge im Familien- und Betreuungsrecht an der FHWS wahrgenommen. 1997 entschied sie dann, als Professorin vollständig in die Lehre an der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften zu wechseln. Vor allem das zwischenmenschliche Verhältnis zu den Studierenden schätzte sie sehr an ihrer Lehrtätigkeit. „Der Kontakt mit den Studierenden ist natürlich auch etwas ganz anderes als der mit einem Straftäter, den man gerade angeklagt hat“, so die Juristin.
Von 2011 bis 2014 war die Professorin Vizepräsidentin der FHWS und anschließend bis 2020 wissenschaftliche Leiterin des Campus Weiterbildung, wo sie das Weiterbildungsangebot der FHWS vorantrieb. Außerdem vertrat sie die Hochschule bei zahlreichen Veranstaltungen. So kam es, dass ihre Teilnahme an den Versammlungen der DAHW, der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe, als Vertretung der FHWS auch ihr persönliches Interesse an diesem Thema weckte. „Als ich gefragt wurde, ob ich nicht Lust hätte einzusteigen, da dachte ich: Das find ich gut, da mach ich mit.“ Heute ist sie im Aufsichtsrat der DAHW, große Überredungskünste hat es dafür nicht gebraucht. Auch beim Würzburger Dommusikverein ist sie Mitglied des Beirats. Nach dem Tod ihres Mannes, dem damaligen Vorsitzenden des Vereins, entschied sie aus Überzeugung selbst beizutreten.
Sowohl beruflich, als auch privat ist die ehemalige Vizepräsidentin der FHWS gerne unterwegs und besucht ihre Herzensprojekte vor Ort. Sie berichtet von einer Reise nach Äthiopien zu Lepraprojekten, mehreren Hochschulaufenthalten in Indien und einem „Abstecher“ nach Neu-Delhi, wo sie ein Tuberkuloseprojekt zum Auffinden und Behandeln infizierter Truckfahrer besuchte. „Sie hat ihre versteckten Leidenschaften, die man hier und da aufblitzen sieht“, schildert Roßkopf, der während ihrer gemeinsamen Zeit an der FHWS ein Büro mit Wollenschläger teilte. „Sie fährt eine Vespa, geht tauchen in Ägypten und bewegt sich allein durch die Fremde, was man nicht unbedingt von einer Professorin des Rechts ihres Jahrgangs erwartet hätte.“
Die Familie als Ausgleich
Auch innerhalb Deutschlands ist die 72-Jährige gerne unterwegs und besucht ihre Söhne, die mit ihren Familien in verschiedenen Städten leben. „Ich glaube, die Familie ist ihr großer Rückhalt“, sagt Roßkopf. „Sie hat eine große Leidenschaft für ihre Enkel.“ Vor allem in den vergangenen Monaten war die Großmutter von acht Enkeln verstärkt im Einsatz, als Schulen und Kitas geschlossen waren. Zwei ihrer Enkel verbrachten viel Zeit in Würzburg und wurden von Wollenschläger tatkräftig im Homeschooling unterstützt.
Dass Wollenschläger ihre zahlreichen Ämter und Interessen scheinbar mühelos unter einen Hut bekommt, liegt wohl auch an ihrer Einstellung. „Die persönliche Zufriedenheit ist sicher ganz wesentlich, und damit kommt auch das Engagement“, erklärt sie. Und sie wirkt zufrieden, wie sie trotz Wind und leichtem Regen auf der Dachterrasse der Hochschule steht und auf ihre Heimatstadt blickt.