Im Sommer 2020 startete die FHWS-Studentin Antonia Quell die Petition: „Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein.“ Diese soll dafür sorgen, dass auch sexuelle Belästigung, die nicht tätlich geschieht, strafrechtlich verfolgt werden kann. Wer ist die Person hinter der Petition, die einen riesigen Diskurs ins Rollen gebracht hat? Ein Porträt.
„Auf einer träumerischen Ebene würde ich sagen, dass ich gerne Host von einer Late Night Show wäre und die würde dann TONIght heißen, wo das TONI gut rauskommt und ich würde voll gerne ein Buch schreiben, aber unter einem Pseudonym, so dass mich niemand erkennt.“ Die hypothetischen Zukunftsideen sprudeln der 21-Jährigen nur so über die Lippen. „Handball, Rollschuhfahren, alles, was mit Musik zu tun hat, vegane Ernährung, normal Stuff wie mit Freundinnen und Freunden abhängen, Feminismus“. Das zählt Antonia Quell zu ihren Hobbys. Besonders der Punkt Feminismus ist seit dem letzten Sommer stark in den Vordergrund gerückt. Da hatte sie zunächst den Plan, einfach still und heimlich eine Petition zu starten. Doch aus „still und heimlich“ wurde nichts.
Mut zur Unterstützung
Mit jeder Stimme erlangte ihre Petition, die sie gemeinsam mit Niklas Dietrich gestartet hatte, mehr Bekanntheit und wurde dadurch auch medienwirksam. Bereits nach einem Monat wurden die 50.000 Stimmen erreicht, die erforderlich sind, um eine Petition dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags vorzulegen. „Ich hatte nicht auf dem Schirm, dass das einen so großen Rattenschwanz hinter sich her zieht“, sagt Antonia lachend, während sie ihre schulterlangen Haare nach hinten streicht. Bis zum Herbst letzten Jahres reichten ihr die blonden Locken noch bis weit über den Rücken. Im Oktober machte sie dann aber einen Cut auf Schulterhöhe, spendete die Zöpfe und veröffentlichte das Resultat bei Instagram mit den Worten: „Eine meiner klügeren Entscheidungen.“ Aber nicht die erste.
Im Sommer 2020 startete die damals noch 20-Jährige ihre Petition zunächst allein, holte sich aber im Verlauf Hilfe aus ihrem Umfeld. „Natürlich bin ich immer bereit zu lernen und ich glaube, ich wäre nicht so weit gekommen, wenn ich nicht im richtigen Moment auf Personen vertraut hätte. Zu einem gewissen Amount braucht man Misstrauen zu Autoritäten, aber auch Vertrauen und muss auch sagen können: du hast Recht.“ Fachlichen Rat fanden die beiden Initiatoren auch an der FHWS bei Prof. Dr. Achim Förster. „Im Wintersemester 2020/21 hat Frau Quell meine Veranstaltung zum Urheber- und Medienrecht besucht“, erklärt Förster. „Sie hat nicht wirklich Hilfe gebraucht. Mir ist gleich aufgefallen, dass dieses ganze Vorhaben von Frau Quell wirklich sehr gut durchdacht ist, dass sie sich intensiv mit der Thematik beschäftigt hat, mit viel Energie dahintersteht und das Ganze sehr strukturiert vorantreibt.“
Catcalling
Laut einer Veröffentlichung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags gilt Catcalling als „strafrechtlich relevante Beleidigung“. Und weiter: „Mit dem aus der englischen Umgangssprache stammenden Begriff werden überwiegend Belästigungen im öffentlichen Raum durch sexuell konnotiertes Rufen, Reden, Pfeifen oder sonstige Laute beschrieben […].“
Feste Standpunkte in jedem Bereich
Die in Fulda aufgewachsene Studentin ist nicht nur politisch engagiert, sondern auch tierlieb. „Ich hatte mal einen Zwerghamster, aber der ist gestorben nach einem sehr glücklichen Leben von vier Jahren.“ Jetzt hat sie keine Haustiere mehr. Das Konzept von Haustieren widerstrebt ihr. „Ich bin ja Veganerin. Das hängt bestimmt damit zusammen“, erklärt sie. „Ich finde Tiere toll, ich respektiere sie. Aber ich brauche sie nicht in meinen vier Wänden.“ Zum Veganismus hat Antonia durch die Aktivistin Greta Thunberg gefunden. „Ich war ein bisschen late to the party. Ich habe schon gewusst, dass Fleischkonsum nicht so gut ist, aber kannte die Hintergründe nicht. Es gibt diese drei Säulen: das Wohl der Tiere, Nachhaltigkeit und die eigene Gesundheit. Da konnte ich mich mit allem identifizieren.“
Mit dem Veganismus kam auch die erste unternehmerische Erfahrung in Form eines eigenen Kochbuchs, das sie über Instagram verkaufte. „Davor konnte ich nie kochen und jetzt kann ich total gut kochen“, meint sie, während sie nach dem Curry sieht, das sie sich zum Abendessen zubereitet. Die Küche in ihrer Wohnung besteht quasi nur aus zwei Herdplatten. Ihre Wohnung ist klein, aber genauso strukturiert, wie ihre Bewohnerin. Pflanzen hat die Studentin systematisch in fast jeder Ecke untergebracht. Ihre Wände hat sie mit eigener Kunst geschmückt. Die meisten Bilder stammen aus ihrer digitalen Feder. Auch das Logo ihrer Petition hat sie selbst gezeichnet.
Zwischen Unsicherheit und Selbstbewusstsein
Wenn es um die Petition geht, wird die sonst so quirlige Studentin ernster. Denn schließlich steht der Name Antonia Quell darauf – und da wissen die Menschen, an wen sie ihre Kommentare richten können. Die Spanne reicht von unterstützenden Aussagen bis hin zu Kommentaren, die wenig zum Diskurs beitragen. „Jemand hat unter andere Bilder von mir kommentiert: ‚Dich würde doch eh keiner catcallen‘ oder so. Man glaubt es keine Sekunde, aber dieser Hass! Warum respektierst du mich nicht als Menschen?“ Vieles liest sie sich nicht durch. Antonia lässt sich nicht auf unnötige Diskussionen ein, bei denen sie sprichwörtlich gegen eine Wand reden würde. Verbale Konfrontationen auf der Straße würde sie zwar nicht scheuen, der Kommentarfunktion bei Instagram hat sie aber einen Riegel vorgeschoben. „Ich glaube, dass das schwierig ist, wenn man denkt man kommt weiter und dann sieht man aber, dass es trotzdem noch Menschen gibt, die das gar nicht verstehen“, erklärt ihre beste Freundin Lea Göbel. Schon vor sieben Jahren lernten sich die beiden beim Handball kennen. „Antonia selbst ist auch irgendwie während der Zeit so stark gewachsen und sie hat so viel dazugelernt durch die ganzen Termine. Man merkt, dass sie da schon sehr viel Zeit investiert.“
Antonia will ihre Umwelt auch in Zukunft weiterhin aktiv mitgestalten. Sie sagt von sich, dass sie privilegiert aufgewachsen ist und deshalb das Gefühl hat, einen Auftrag zu haben, das Ganze zurückzugeben. „Deshalb will ich später selbstständig sein und mit dem zukünftigen Unternehmen auf jeden Fall eine positive Veränderung erreichen. Ich glaube, das kommt total naiv rüber“, ergänzt sie schmunzelnd. Prof. Dr. Förster ist da aber zuversichtlich: „Ich glaube, dass wir von Frau Quell in Zukunft durchaus einiges erwarten können und dass sie mit Sicherheit eine erfolgreiche berufliche Zukunft vor sich hat, was auch immer sie dann später machen wird.“ Wenn Antonia damals gewusst hätte, was mit einer Petition alles auf sie zukommt, hätte sie sich das wahrscheinlich nicht zugetraut, sagt sie. „Aber ich finde die Erkenntnis, dass jede und jeder mitsprechen darf, so wichtig“, erklärt die Studentin. Die damalige Ungewissheit scheint für ihre Zukunft ein klarer Vorteil zu sein. „Ich habe gemerkt, dass ich mir mehr zutraue, weil ich das eben schon geschafft habe“, erklärt sie stolz. „Ich bilde mir meine eigene Meinung über mich.“
Petition „Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein.“
- Start der Petition: 11. August 2020
- Ziel der Petition: Catcalling strafbar machen
- Antonia Quells Definition von Catcalling: nicht tätliche sexuelle Belästigung
- Anzahl der gesammelten Stimmen: 69.444
- Aktueller Stand: Die Petition liegt dem Petitionsausschuss zur Abstimmung vor