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Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt

Boxen für mehr Sicherheit

Mit Sensoren ausgestattete Bike-Boxen sollen helfen, Gefahrenstellen beim Radfahren zu erkennen

 © AdobeStock/festfotodesign

Fahrradfahren ist gesund – aber kann gefährlich sein. Wie lassen sich die Gefahren, denen Fahrradfahrende im Straßenverkehr begegnen, systematisch und datenbasiert erfassen? Ein interdisziplinäres Team sucht genau darauf Antworten: Mit Sensor-Boxen, die während des Radfahrens Gefahrenstellen aufdecken – objektiv, datenbasiert und anonym.

Veröffentlicht am 07.08.2025

Fahrradfahrende in Würzburg kennen das Problem: Zu enge Überholmanöver von Autofahrern, ein nicht abgesenkter Bordstein, zu schmale Fahrradstreifen. Die Fahrrad-Infrastruktur und ihre Tücken sorgen regelmäßig für Frust und Beschwerden. Häufig fehlt es jedoch an konkreten Belegen für ungünstige oder gefährliche Verkehrsbedingungen. Damit könnte bald Schluss sein. Denn genau hier setzt ein interdisziplinäres Team unter der Leitung von Prof. Dr. Nicholas Müller an: Es untersucht die Fahrradstrecken von Studierenden wissenschaftlich. Prof. Dr. Müller hat eine Forschungsprofessur für Sozioinformatik und gesellschaftliche Aspekte der Digitalisierung am Institut für Design und Informationssysteme der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS) inne. Sein Ziel ist es, Gefahrenstellen objektiv zu erfassen, um die Sicherheit für Radfahrende zu erhöhen. „Wenn wir messen können, wo Abstände unterschritten werden oder die Infrastruktur mangelhaft ist, können gezielte Maßnahmen ergriffen werden“, erklärt Prof. Dr. Müller. Er hofft, dass die Forschungsergebnisse dazu beitragen, die Sicherheit der Fahrradfahrenden in Würzburg zu erhöhen.

Prof. Dr. Nicholas Müller trägt eine Brille und einen schwarzen Pullover. Er steht vor einem dunklen Hintergrund und lächelt in die Kamera.
Prof. Dr. Nicholas Müller ist Professor für Sozioinformatik und gesellschaftliche Aspekte der Digitalisierung an der Fakultät Informatik und Wirtschaftsinformatik (© Nicholas Müller/privat)

„Fahrradfahrende kennen das: Sie werden mit dem Fahrrad zu eng überholt oder an einer Kreuzung geschnitten. Das ist ärgerlich, aber lediglich eine Anekdote. Es wäre immer noch möglich, dass der Fehler beim Fahrradfahrenden lag oder die Umstände schlecht waren“, erläutert Prof. Dr. Müller. Um aus solchen Anekdoten empirische Evidenz zu machen, haben er und sein Team ihr Forschungsprojekt mit den „Bike-Boxen“ gestartet. So wollen sie herausfinden, welche Stellen in Würzburg für Fahrradfahrende besonders gefährlich sind.

„Fahrradfahrende kennen das: Sie werden mit dem Fahrrad zu eng überholt oder an einer Kreuzung geschnitten.“ – Zitat von Prof. Dr. Nicholas Müller

Von der Idee zur Umsetzung

Erstmals über ein solches Projekt nachgedacht hat Prof. Dr. Müller mit seinem Kollegen Prof. Dr. Jan Wilkening aus dem Bereich der Geoinformatik schon im Jahr 2020. Kurz nachdem die neue Abstandsregelung beim Überholen von Fahrradfahrenden in Kraft getreten war. Mit der Novelle der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) im April 2020 gelten 1,5 m Mindestabstand beim Überholen von Fahrradfahrenden innerorts.

Seit Sommer vergangenen Jahres ist aus der Idee der beiden Professoren ein Forschungsprojekt mit einer Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geworden. Die Initiative „Dati Pilot“ unterstützt innovative Ideen mit praxisorientierter Umsetzung. Das Bike-Box-Projekt erhielt dabei durch ein Peer-Pitching-Verfahren den Zuschlag. „Normalerweise sind wissenschaftliche Anträge sehr aufwendig, doch dieses Verfahren war deutlich einfacher und wir haben nur einen relativ kleinen Text geschrieben“, erklärt Prof. Dr. Müller. Die besten Ideen wurden zu einem Pitch eingeladen. „Alle Projekte haben sich gegenseitig angehört und im Anschluss bewertet. So entstand eine Art Peer-Pitching-Review. Und so konnten am Ende alle nachvollziehen, warum bestimmte Projekte ausgewählt wurden.“

Markierungen auf einer Fahrbahn. Der Fahrradstreifen ist sehr schmal.
Zu schmale Fahrradstreifen stellen für Radfahrende bei engen Überholmanövern von Autos häufig eine große Gefahr dar (© AdobeStock/Lilli Bähr)

Derzeit befindet sich das Projekt noch in der ersten Phase. „Aktuell entwickeln wir die Hardware, also die Elektronik - genauer verbauen wir die Sensoren und das Gehäuse. Parallel dazu wird mit Webfactor eine Smartphone-App entwickelt, die die Messdaten der Bike-Box sammeln und zur Verarbeitung an eine Datenbank übertragen soll“, erklärt Susanna Götz, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt. Ab Frühjahr 2025 sollen dann 100 dieser sensorgestützten Boxen an Würzburger Studierende ausgegeben werden. Diese befestigen die wasserdichten Geräte an ihren Fahrrädern, um während ihrer Fahrten Daten zu sammeln und so die Stadt aus der Perspektive der Radfahrenden zu vermessen. Die Daten werden anonymisiert ausgewertet. „Hoffentlich erhalten wir so einen Überblick über Gefahrenstellen für Radfahrende in Würzburg“, fasst Götz zusammen.

„Hoffentlich erhalten wir so einen Überblick über Gefahrenstellen für Radfahrende in Würzburg.“ Zitat von Susanna Götz

Gute Forschung ist interdisziplinär

Das interdisziplinäre Projekt wird von Prof. Dr. Müller vom Institut für Design und Informationssysteme (IDIS) der THWS geleitet und koordiniert. Unterstützung erhält er von wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Studierenden, die die Entwicklung der Boxen sowie die technische Umsetzung vorantreiben. Darüber hinaus hat Prof. Dr. Arndt Balzer von der Fakultät Informatik und Wirtschaftsinformatik mit seinem Labor und Studierenden die frühe Prototypentwicklung unterstützt.

Prof. Dr. Müller ist überzeugt, dass ein Projekt wie das der Bike-Boxen nur durch die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen erfolgreich umgesetzt werden kann, um die komplexen Herausforderungen der Verkehrssicherheit und der Digitalisierung zu lösen. Und so arbeiten im Projekt die Disziplinen Informatik, Gestaltung und angewandte Sozialwissenschaften zusammen. „Jede Disziplin trägt dazu bei, das Problem aus einer anderen Perspektive zu beleuchten und innovative Lösungen zu entwickeln“, meint Prof. Dr. Müller.

„Jede Disziplin trägt dazu bei, das Problem aus einer anderen Perspektive zu beleuchten und innovative Lösungen zu entwickeln.“ – Zitat von Prof. Dr. Nicholas Müller

Team legt großen Wert auf den Schutz der Privatsphäre

Die Datenerhebung startet mit dem Sommersemester 2025. „Unser Ziel ist es, mit Beginn des Sommersemesters am 15. März zu starten, wenn die Leute ihre Fahrräder wieder herausholen“, so Prof. Dr. Müller. Das Projekt wird zunächst für ein halbes Jahr laufen.

Aktuell hat der Prototyp noch die Größe einer Kaffeetasse. Das soll sich bis zum Start der Erhebung noch ändern. „Die Bike-Boxen sollen am Ende das Format einer Espressotasse haben. Dadurch wird die Bike-Box leichter montierbar – und was einfacher zu montieren ist, wird auch häufiger genutzt“, erklärt Götz.

Ziel ist es die problematischen Stellen, an denen regelmäßig Abstände unterschritten oder Straßenschäden festgestellt werden, zu identifizieren und mit quantitativen Daten zu untermauern. Prof. Dr. Müller erklärt: „Das Wichtigste ist, dass wir sehen, wenn an verschiedenen Tagen und von unterschiedlichen Boxen an derselben Stelle Probleme auftreten.“ Die so gewonnenen Daten könnten nicht nur Stadtplanern helfen, sondern auch den Radfahrenden selbst. Auf Basis der Messungen könnten sie ihre Routen anpassen und Alternativen wählen, die sicherer oder weniger schadstoffbelastet sind.

„Das Wichtigste ist, dass wir sehen, wenn an verschiedenen Tagen und von unterschiedlichen Boxen an derselben Stelle Probleme auftreten.“ Zitat von Prof. Dr. Nicholas Müller

Dank der Projektförderung kann entwickelt, designt und gebaut werden. Und das auf hohem Niveau mit dem größtmöglichen Schutz für die Privatsphäre der Nutzenden. „In der Box selbst ist kein GPS-Sensor drin, sondern ein kleines Bluetooth-Modul, das mit dem Handy kommuniziert“, betont Prof. Dr. Müller. Das Team habe großen Wert auf den Schutz der Privatsphäre gelegt und so werden Sensordaten wie Überholabstände, Erschütterungen und Umweltbelastungen über Bluetooth an eine Handy-App gesendet.

„Das Handy empfängt also die Daten, speichert diese erstmal und die App verknüpft die Messwerte jeweils mit der GPS-Koordinate des Handys. Die Daten werden dann später anonymisiert auf den Server geladen. Wir wissen nicht, wer die Daten hochgeladen hat, sondern nur GPS-Koordinate und Sensor-Messwerte“, erklärt Prof. Dr. Müller weiter. Und um sensible Daten wie Wohn- oder Zieladressen zu schützen, sollen die ersten und letzten 100 Meter oder 60 Sekunden der Strecke automatisch gelöscht werden. „Wir wollen lediglich wissen, was auf der Strecke dazwischen passiert“, meint Prof. Dr. Müller. So sollen dann die Anekdoten der Fahrradfahrenden in Würzburg demnächst zu quantitativ messbaren Ergebnissen werden – um letztendlich die Sicherheit für Fahrradfahrende zu erhöhen.

Das Bild zeigt ein Fahrrad, an dem eine der Bike-Boxen montiert ist
Die Bike-Boxen sollen leicht an Fahrrädern montierbar sein und sowohl Abstände, Erschütterungen als auch die Feinstaubbelastung und Temperatur erfassen können (© THWS/Fakultät Gestaltung)

Ein Artikel von
Louise Steinebach