Am Institut für Angewandte Sozialwissenschaften arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an musiktherapeutischen Konzepten für die Altenhilfe. Mit Musiktherapie kann etwa Altersdepression behandelt werden. Auch können Techniken zur Verfügung gestellt werden, die es Betroffenen von Demenz sowie deren pflegenden Angehörigen ermöglichen, besser mit der Erkrankung umzugehen.
Veröffentlicht am 27.03.2024
Musik löst Emotionen aus. Sie weckt Erinnerungen, lässt uns mit den Fingern im Takt klopfen, mit den Füssen wippen, bringt uns zum Tanzen. „Musik aktiviert immer ein Netzwerk im Gehirn“, bringt es Prof. Dr. Thomas Wosch, Professor für Musiktherapie an der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS), auf den Punkt. Deshalb kann Musik Menschen mit Demenz dabei helfen, besser mit ihrer Erkrankung umzugehen.
In Deutschland leben laut jüngsten Schätzungen rund 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Bis zum Jahr 2050 könnte sich die Krankenzahl laut Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft auf bis zu 2,8 Millionen erhöhen. Musiktherapie kann die Ursachen von Demenz zwar nicht heilen, doch lassen sich Symptome der Erkrankung lindern und mit bestimmten Techniken herausfordernde Situationen im Alltag meistern. Während Sprache ab einem bestimmten Stadium der Erkrankung gar nicht mehr die Voraussetzung im Gehirn habe, um verstanden und bewusst produziert zu werden, habe man beim eigenen Musizieren oder Hören von Musik immer Bereiche, die man ansprechen könne, sagt Prof. Dr. Wosch. Gerade Musik, die einen emotional sehr berühre, vielleicht auch mit Bewegung verbunden sei, aktiviere sehr viele Regionen im Gehirn und werde multisensorisch, also auf ganz vielen Sinneswahrnehmungskanälen wahrgenommen und abgespeichert.
Aus diesem Grund könnten auch Menschen mit weit fortgeschrittener Demenz auf diese Ressourcen zurückgreifen, erklärt Prof. Dr. Wosch. „Wenn dann das alte Akkordeon vom Dachboden geholt wird kann der Erkrankte, dem es Schwierigkeiten bereitet, einen Satz zu Ende zu sprechen, mitunter problemlos und fantastisch mit vielen schönen harmonischen Ausgestaltungen alte Volkslieder spielen.“ Es sei beeindruckend zu beobachten, was die Musik an Fähigkeiten hervorrufe.
An der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften und dem Campus Weiterbildung der THWS, an denen der Professor forscht und lehrt, wird das Masterprogramm „Musiktherapie für Empowerment und Inklusion“ angeboten. Dabei gehe es speziell um die Anwendung in der Alten- und Behindertenhilfe, erklärt Wosch: „Das ist im europäischen Raum eine Einmaligkeit.“ In vielen Projekten arbeiten die Forschenden dabei mit der Universität Melbourne zusammen. Deren Master in Musiktherapie sei nicht spezialisiert, aber die Forschung im Demenzpflegebereich ebenfalls sehr stark, betont der Professor.
Musiktherapie in den Alltag der Betroffenen integrieren
Eines dieser Projekte, in denen das Institut für Angewandte Sozialwissenschaften eng mit seinem australischen Partner zusammengearbeitet hat, ist MUSE-CARE – „Music Empowerment of Caregivers – skill sharing in dementia care“. Eine Besonderheit sei hier, dass nicht nur die Betroffenen, sondern auch deren soziales Umfeld in die Studien miteinbezogen wurde, erklärt Wosch: „Pflegende Angehörige und professionelle Altenpflegerinnen und -pfleger sollen von Elementen der Musiktherapie in ihrem Alltag profitieren können.“ Im Rahmen von MUSE-CARE seien Techniken der Musiktherapie entwickelt beziehungsweise so abgewandelt worden, dass sie alltagstauglich sind. Ein Beispiel ist das sogenannte Situationslied, mit dem Pflegende Anweisungen in singender Form geben. Eine Alltagsaktivität, zum Beispiel das Aufstehen, wird mit einer Melodie vertont. Ist dem Erkrankten diese Melodie vertraut und unterstützt die Musik durch ihren Rhythmus und Schwung den Aufstehprozess, so können hier Bereiche im Gehirn aktiviert werden, die durch eine rein verbale Äußerung nicht angesprochen werden. „Hier haben wir wieder dieses multisensorische Element. Man muss sich auf den Kommunikationsmodus des Menschen mit Demenz einlassen, um verstanden zu werden“, sagt Wosch.
Therapieerfolge durch selbstgeschriebene Lieder immer wieder in Erinnerung rufen
Demenz ist jedoch nicht das einzige Krankheitsbild, das als musiktherapeutisches Anwendungsfeld im Rahmen von MUSE-CARE bearbeitet wurde. Ein Teilbereich des Projekts befasste sich auch mit Musiktherapie bei Altersdepression. Jasmin Eickholt, die den Master in Musiktherapie an der THWS absolvierte, promoviert derzeit an der Universität Melbourne und hat im Zuge ihrer Promotion ein Anwendungskonzept des therapeutischen Songwritings speziell für Menschen mit Altersdepression entwickelt. Dieses Konzept wendet die Wissenschaftlerin und freiberufliche Musiktherapeutin mittlerweile auch in ihrer beruflichen Praxis an: „Im therapeutischen Songwriting nutzen wir Musik, um ganz persönliche Themen auszudrücken und zu erarbeiten und die Musik hilft dabei, diese Themen zu intensivieren.“ Durch das Verklanglichen der erarbeiteten Themen – seien es nun Erfahrungen aus der eigenen Lebensgeschichte oder aber konkrete Ergebnisse einer vorangegangenen Therapie, etwa einer klassischen Gesprächstherapie – lassen sich diese festhalten und immer wieder abrufen. „Wir können die selbstgeschriebenen Lieder immer wieder abspielen oder selbst singen. Die Betroffenen können sich somit immer wieder daran erinnern, was sie in einer Therapie erreicht haben oder was sie in ihrer Lebensgeschichte erreicht haben“, so Eickholt.
Das Besondere an dem Anwendungskonzept ist, dass Eickholt Erkenntnisse der sogenannten positiven Psychologie integriert hat. Positive Psychologie sei nicht nur „Happy thinking“, so Eickholt: „Die Positive Psychologie erkennt auch das Schwierige an, versucht aber den Fokus darauf zu richten, was es jetzt in meinem Leben an positiven Emotionen, an guten Beziehungen, an Dankbarkeit, an Dingen, die ich erreicht habe, gibt, um letztlich mein Wohlbefinden wieder zu steigern.“ Erste Vorschläge für den Songtext kämen oftmals von ihr, erklärt die Musiktherapeutin. Dafür resümiere sie erste Gespräche, die sie mit ihren Klientinnen und Klienten führe. Nach und nach kämen dann immer mehr Vorschläge von den Betroffenen selbst. „Ich versuche so nah an deren Worten zu bleiben wie möglich.“
Zwar fokussierte sich Eickholt in ihrer Promotion auf Altersdepression, doch ließe sich therapeutisches Songwriting auch sehr gut bei einer Demenzerkrankung einsetzen: „Der Unterschied ist, dass man häufiger für die Erkrankten Lieder schreibt, also der Betroffene nicht selbst der Songwriter ist.“ So ist auch das Situationslied, das bei Alltagsaktivitäten helfen kann, eine Form des therapeutischen Songwriting. Gerade im Anfangsstadium einer Demenz könne Songwriting aber genauso eingesetzt werden wie bei einer Altersdepression, fügt Eickholt hinzu.
Dies zeigt sich auch im Folgeprojekt, das sie zusammen mit ihrer australischen Kollegin Zara Thompson plant: „Wir möchten Menschen mit Demenz und ihren pflegenden Angehörigen zum gemeinsamen Songwriting motivieren, sodass sie zusammen erarbeiten, welche positiven Erlebnisse sie teilen und die Stärke ihrer Beziehung herausarbeiten.“ Die Idee zur Arbeit mit den Paaren stammt aus der Promotionsarbeit von Thompson. Sie nutzte für ihre Forschung ein Chorprojekt, bei dem Demenzerkrankte zusammen mit ihrem pflegenden Angehörigen in einen Chor gehen und gemeinsam singen. Es geht um Beziehungsarbeit und das gemeinsame Erleben und Genießen von Musik. Dass Erkrankte bei musiktherapeutischen Maßnahmen diesen Musikgenuss erleben, würden mehrere Studien belegen, erklärt Eickholt. Auch Thompson und sie selbst konnten den Effekt in ihren jeweiligen Dissertationen nachweisen. Im Übrigen zeige sich hier ein weiterer Vorteil des therapeutischen Songwritings, aber auch der Musiktherapie insgesamt, merkt die Wissenschaftlerin an. Betroffene könnten viel besser motiviert werden, an einer Therapie teilzunehmen: „Zunächst steht immer dieses positive, dieses gemeinsame Erleben von Musik im Vordergrund.“