Im Studiengang Geovisualisierung spielt oftmals die Stadtentwicklung Würzburgs eine Rolle: Ideen von Studierenden zeigen Zukunftsperspektiven im Städtebau auf und erfasste Geodaten werden von der Stadt für Entscheidungen in der Stadtplanung herangezogen. Klimaanpassung und Klimafreundlichkeit spielen dabei eine große Rolle.
Veröffentlicht am 27.07.2023
Leise plätschernd bahnt sich die Pleichach ihren Weg durch die Wiese. Blühende Stauden und Bäume säumen das Ufer. Auf dem angrenzenden Radweg sausen Fahrradfahrer Richtung Innenstadt. Hier, im Grünen sitzend, lässt sich der Verkehr der Nürnberger Straße und der B19-Brücke ausblenden und die Mittagspause genießen.
Diese Szenerie zeichnet eine Vision von Clara Eggers, Absolventin des Studiengangs Geovisualisierung, die im Rahmen des Moduls „Projektbezogene Geovisualisierung“ im vierten Semester entstand. Wo die Pleichach heute noch in einer beengten Rinne neben Straßen und Parkplätzen fließt, sieht Eggers die Möglichkeit „einen Ort der Erholung zu schaffen“.
Mit den erlernten Werkzeugen ins erste eigene Projekt
Stefan Sauer, Architekt und Dozent für Geovisualisierung, leitet dieses Modul im vierten Semester, bei dem es ihm darum geht, „dass die Studierenden ihr erstes eigenes Projekt bekommen“. Das Seminar findet im Austausch mit Vertretern der Stadt Würzburg statt und dreht sich um das Thema Stadtentwicklung. Die Studierenden sollen zukunftsfähige städtebauliche Perspektiven für Würzburg aufzeigen und sind dabei von der Ideenfindung über die Konzeptentwicklung bis hin zur Präsentation mit unterschiedlichen Aufgaben konfrontiert. Bis zum vierten Semester hätten die Studierenden einige wichtige Werkzeuge kennengelernt, sagt Sauer. Dazu zählen Geoinformationssysteme, mit denen Geodaten erfasst, verarbeitet, analysiert und visualisiert werden können, 3D-Modellierung, Fotografie und vieles mehr. Sie seien somit für ihr erstes Projekt gerüstet, bei dem sie all diese Werkzeuge einsetzen könnten.
Das Seminar biete zudem die Möglichkeit, auch mal provokantere Themen zur Diskussion zu stellen, meint der Dozent. So nimmt der Arbeitsauftrag im aktuellen Semester Perspektiven für eine Neugestaltung der Talavera in den Blick, die für manche Würzburgerinnen und Würzburger mit ihrer Möglichkeit zum kostenlosen Parken oder als bewährter Volksfestplatz als unantastbar gilt. „Die Dinge mal ganz neu denken“ – auch das ist laut Sauer ein Ziel des Seminars. Die Stadt habe ein großes Interesse daran, wie die Sicht der jungen Leute auf diese Themen sei.
Würzburg muss sich an Folgen des Klimawandels anpassen
Die Renaturierung der Pleichach, die in Teilen bereits erfolgte, ist ein reales Vorhaben der Stadt Würzburg. Dabei geht es nicht nur um neuen Erholungsraum, sondern es handelt sich auch um eine Maßnahme zur Klimaanpassung. Die ökologische Aufwertung von Fließgewässern erhöhe deren ausgleichende Wirkung auf das Lokalklima und fördere die Frischluftzufuhr, heißt es in einer Broschüre der Stadt. Stärker als andere Regionen in Deutschland wird Unterfranken zukünftig von intensiveren Hitzewellen und Trockenphasen betroffen sein. Hinzu kommt der Stadtklimaeffekt, der in Würzburg besonders ausgeprägt ist – die dicht bebauten Gebiete in der Innenstadt heizen sich zum Teil deutlich mehr auf als das Umland.
„Verdunstungsflächen wirken sich nachweislich positiv auf das Stadtklima aus“, erklärt Sauer. Um Verdunstungsflächen zu schaffen, spielen neben Gewässern wie der Pleichach auch Grünflächen eine zentrale Rolle. Wasser fließt nicht sofort ab, es kann versickern. Beim Verdunsten wird der Umgebung Energie entzogen und sie somit gekühlt. In dicht bebauten Stadtteilen seien deshalb insbesondere auch Fassaden- und Dachbegrünung vielversprechende Maßnahmen, ist in der Broschüre der Stadt zu lesen.
Maßnahmen für eine klimaangepasste und klimafreundliche Stadt würden die Studierenden immer wieder von sich aus in ihren Projektarbeiten aufgreifen, obwohl die Arbeitsaufträge sehr frei formuliert seien, wie Sauer betont. Neben der Renaturierung der Pleichach waren zum Beispiel ein vollständig begrünter Hauptbahnhof oder ein Fahrrad-Highway Ergebnisse bisheriger Projektarbeiten.
Geodaten bilden die Grundlage
Beim aktuellen Arbeitsauftrag zur Talavera sehe er es in Punkto Parken fast schon als zwingend an, nachzuverdichten, meint der Architekt. Mit Nachverdichtung sind Bemühungen gemeint, städtischen Raum effektiver zu nutzen, indem zusätzliche unter- und oberirdische Strukturen geschaffen werden. Würde man auf der Talavera unterirdisch parken, ließe sich der Platz oben beispielsweise für soziales Wohnen und begrünte Flächen nutzen, erklärt Sauer. „Die Talavera muss keine Asphaltwüste sein, sondern könnte zum Musterprojekt für klimafreundlichen und sozialen Stadtumbau werden.“ Topografische Daten, wie etwa die Distanz zum Main oder zum Grundwasserpegel zeigen, dass unterirdisches Parken realisierbar wäre. Auch für die Studierenden steht zu Beginn ihrer Projekte zuerst das Auswerten von Geodaten im Vordergrund. Ideen, die sich aus dieser Analyse ergeben würden, seien tragfähig und könnten von den Studierenden begründet werden, so der Dozent.
Die Qualität des Radfahrens messen
Geodaten auszuwerten und der Stadt damit Material für begründete Entscheidungen in der Stadtplanung an die Hand zu geben, darum geht es auch bei Prof. Dr. Jan Wilkening, Leiter des Studiengangs Geovisualisierung. Sein Forschungsschwerpunkt liegt momentan auf dem Radverkehr – ein aktuelles Thema für die Stadt Würzburg, die bis 2040 klimaneutral werden will. In der Stärkung des Radverkehrs sieht sie einen wichtigen Baustein, um dieses Ziel zu erreichen. Zu entscheiden, ob man straßenbaulich etwas verändert, um fahrradfreundlicher zu werden, sei Aufgabe der Stadt, erklärt Wilkening. „Wir wollen die Qualität des Radfahrens messen.“ Denn erstmal müsse man möglichst objektiv aufnehmen, an welchen Stellen es Probleme gebe, um dann zu überlegen, wie man sie beheben könne.
Dafür werden unterschiedlichste Datensätze miteinander in Verbindung gebracht. Der Professor zeigt auf seinem Bildschirm eine Karte von Würzburg, in die er einen Datensatz von Unfällen mit Fahrradbeteiligung integriert hat. Wie bei einer Wetterkarte lässt sich über die Farbe sofort erkennen, welche Stellen heikel sind – ein Verkehrsknotenpunkt wie der Berliner Ring, an dem es zu besonders vielen Unfällen kommt, sticht gelb leuchtend hervor.
Geodaten selbst erfassen
Auch wenn viele Daten von Behörden zur Verfügung gestellt werden oder online darauf zugegriffen werden kann – einige Daten müssen auch selbst erfasst werden. „Ein Student hat sich im Rahmen seiner Bachelorarbeit gerade einen Sensor gebaut und wird in den nächsten Wochen die Frankfurter Straße in der Zellerau abfahren, um Überholabstände von Autos zu messen.“ Ziel sei es dann wieder, die Daten „auf die Karte zu bringen“, um zu sehen, welche Stellen problematisch seien. Diese Arbeit werde auch von der Stadt betreut, so Wilkening. Sie habe großes Interesse daran, zu erfahren, wo schmale Fahrbahnen dazu führten, dass Autos zu eng überholten, oder abschätzen zu können, ob bereits ergriffene Maßnahmen Verbesserungen brächten.
Unabhängig davon, ob die Projekte einen unmittelbaren Einfluss auf Entscheidungen der Stadt Würzburg haben oder ob es darum geht, Zukunftsvisionen zu entwickeln und provokative, neue Ansätze der Stadtentwicklung zu diskutieren – für Stefan Sauer ist klar: „Die Ideen und Arbeiten der Studierenden sind nicht für die Tonne, sie bewegen etwas. Das Gefühl bleibt, dass wir die Zukunft mitgestalten können.“