Im Rahmen der bayerischen Hightech Agenda bildet sich Würzburg zum Knotenpunkt eines landesweiten Netzwerks für Künstliche Intelligenz (KI) aus. Mit dem geplanten KI-Zentrum CAIRO fokussiert sich die FHWS dabei auf einen Bereich, der bislang Science-Fiction-Filmen vorbehalten schien: einer menschenähnlichen KI.
Ein Haushaltsroboter fährt durch die Wohnung. Er entdeckt Wäsche auf dem Boden und legt die saubere Wäsche ordentlich in den Schrank, den Rest in den Wäschekorb. Danach räumt er die Geschirrspülmaschine aus – vor 18 Uhr, weil seine Besitzerin oder sein Besitzer dann in Ruhe die Sportschau sehen will. Ein Zukunftsszenario, denn auch wenn es technologische Haushaltshelfer wie den Staubsaugroboter schon gibt, hört die Hilfe beim Staubsaugen und Wischen auf. Eines fehlt dem Roboter nämlich noch: Künstliche Intelligenz, die wie ein Mensch hochkomplex denken und handeln kann. Zunächst könnte solch eine KI vor allem im produzierenden Gewerbe, später aber auch in allerlei anderen Bereichen eingesetzt werden. Die FHWS hat es sich zum Ziel gemacht, einer menschenähnlichen KI näher zu kommen und dazu das „Competence Center Artificial Intelligence and Robotics“ (CAIRO) gegründet.
CAIRO als Teil des bayerischen KI-Netzwerks
Die Idee für ein KI-Zentrum in Würzburg hatte die FHWS schon vor ein paar Jahren, als die Landesregierung Bayern 2017 zum Digitalisierungsland erklärte. Jedoch konkretisierten sich zunächst die Pläne für das lang angedachte Robotik-Center CERI in Schweinfurt. Im Zuge der Entwicklung von CERI kam dann direkt eine neue Idee auf, erzählt FHWS-Präsident Robert Grebner: „Es war klar, dass es um intelligente Robotik gehen muss, und um Roboter intelligent zu machen, braucht man KI. So kamen wir zum Schluss, dass wir auch ein KI-Zentrum brauchen.“ Eine Finanzierungsgelegenheit eröffnete sich zwei Jahre später mit der bayerischen Hightech Agenda. In diesem Rahmen stellte der Freistaat 360 Millionen Euro für 100 neue KI-Lehrstühle bereit, um ein bayernweites KI-Netzwerk aufzubauen. Im Wettbewerb um die besten KI-Konzepte konnte sich sowohl die FHWS als auch die Julius-Maximilians-Universität (JMU) durchsetzen, so dass Würzburg zum Knotenpunkt für Data Science erklärt wurde. Neben drei anderen Knotenpunkten und dem Zentrum in München nimmt Würzburg damit eine wichtige Rolle im KI-Netzwerk ein.
Die drei vom Freistaat finanzierten CAIRO-Professuren, die aktuell ausgeschrieben sind, will die FHWS mit vorerst zwei eigenfinanzierten Professuren ergänzen. Es ist der Grundstock für die Gründung eines KI-Zentrums, das nicht nur Forschungseinrichtung, sondern auch bayernweit ein Kompetenzzentrum und als Kontakt für andere Hochschulen sowie Unternehmen dienen soll. Zudem entsteht ab dem Wintersemester 2021 erstmalig in Deutschland ein Masterstudiengang „Künstliche Intelligenz“, mit dem sich Informatik-Studierende auf KI spezialisieren können.
Der Schwerpunkt: Starke KI
Sowohl die Lehre als auch die Forschungsarbeit wird sich mit aktuellen Entwicklungen und Techniken der KI befassen. Profilieren will sich die FHWS aber mit einem besonders innovativen Schwerpunkt: der sogenannten „starken KI“, auch Superintelligenz genannt. Diese zeichnet sich durch intellektuelle Fähigkeiten aus, die denen des Menschen gleichkommen oder sie sogar übertreffen. Sie kann Reize differenziert wahrnehmen und kognitiv verarbeiten, flexibel und kreativ handeln und ist sich ihrer dabei selbst bewusst. Ihr Pendant ist die „schwache KI“, die nur genau die eine hochkomplexe Aufgabe lösen kann, für die sie speziell programmiert wurde. Da sie kein tieferes Verständnis für das eigentliche Problem entwickelt, versagt die schwache KI, sobald ein Detail vom vorgegebenen Prozess abweicht. Zwar machen beispielsweise Entwicklungen von Sprachassistenten wie Alexa oder Siri oft den Eindruck einer intelligenten Software, von starker KI ist man in der Forschung aber noch weit entfernt. Das stellt auch der Robotik-Studiengangleiter Prof. Jean Meyer fest, der gemeinsam mit Präsident Grebner das CAIRO-Konzept erarbeitet hat: „Alle Neuheiten, die in den letzten Jahren als bahnbrechend intelligent verkündet wurden, sind nüchtern betrachtet schwache KI. Starke KI ist eine ganz andere Hausnummer und liegt weit über dem fachlichen Anspruch von heute.“
Um eine starke KI überhaupt möglich zu machen, muss sie mit drei Intelligenzbereichen ausgestattet sein: Wahrnehmen, Denken, Handeln. Mit CAIRO sollen die drei KI-Disziplinen jetzt unter einem Dach gebündelt werden, wobei jede Professur einen der drei Intelligenzbereiche als Forschungsfeld erhält. Denn erst wenn alle drei Bereiche ineinandergreifen, kann eine KI einen umfänglichen Problemlösungsprozess durchlaufen: ein Signal wahrnehmen, das Problem erkennen, eine Lösung kreieren, diese in eine Handlung umsetzen und daraus neue Erkenntnisse ziehen.
Das Robomotive Ecosystem
Dass die Forschung neben einem Fokus auf starke KI aber auch lebensnah bleibt, hält Grebner für notwendig. „KI kann sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen, ansonsten wäre jede noch so starke KI wertlos. Es braucht Schnittstellen zur Außenwelt, um KI in die Anwendung zu bringen“, betont der FHWS-Präsident. „Deswegen denken wir darüber nach, in jeder unserer zehn Fakultäten eine KI-Anwendungsprofessur einzuführen, die KI-Expertise und das Wissen um die Anforderungen im jeweiligen Bereich vereint.“
Zudem wird CAIRO eng mit dem Robotik-Center CERI in Schweinfurt zusammenarbeiten. Entstehen soll ein „Robomotive Ecosystem“, in dem intelligente Roboter passgenau hergestellt werden können: CAIRO entwickelt KI-Lösungen, die CERI dann in Roboter implementiert und testet. Roboterhersteller übernehmen diese Lösungen, die durch Unternehmen in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden. Daraus resultierende Erkenntnisse werden in der jeweiligen Fakultät aufgenommen und durch die KI-Schnittstelle wieder an CAIRO weitergegeben.
Deutschland im soliden Mittelfeld
Nicht nur Deutschland intensiviert seine KI-Forschung. Im Wissen, dass KI eine immer wichtigere Rolle in der Volkswirtschaft spielen wird, versucht jedes Land, im Wettkampf um die Technologieführerschaft vorne mitzuspielen. Als Indikator gilt unter anderem die Anzahl von KI-Start-Ups in einem Land. Für Deutschland identifiziert der Bundesverband Deutsche Start-Ups derzeit 275 KI-Start-Ups. Dass sich Deutschland damit nicht abhängen lässt, wie oft angenommen, zeigt eine Auswertung des Institut der deutschen Wirtschaft von 2019, bei der die Zahl der KI-Start-Ups als Messgröße dient und in Relation zur Einwohnerzahl gesetzt wird. Dabei landet Deutschland noch vor China und Japan auf dem zehnten Platz und damit im Mittelfeld der Top15-Länder. Den ersten Platz belegt Israel, gefolgt von Finnland und Schweden. Derartige Statistiken beziehen sich indes nur auf schwache KI, ergänzt Meyer: „Die starke KI wird in der aktuellen Forschung nur selten thematisiert. Das macht es schwer, Vergleiche zwischen den einzelnen Ländern zu ziehen.“
Starke KI – ein realistisches Zukunftsszenario?
Die FHWS sieht das als Herausforderung - auch wenn umstritten ist, ob starke KI überhaupt möglich ist. In einer Studie des US-Marktforschungsunternehmen Emerj von 2019 rechneten 45% der teilnehmenden KI-Forscher zwar noch vor 2060 mit der Entwicklung einer starken KI, 21% dagegen hielten es für unwahrscheinlich, dass es starke KI jemals geben wird. Zweifelnden hält Grebner, selbst Informatiker, entgegen: „Wer nicht daran glaubt, dass starke KI möglich ist, kommt nicht auf die Idee herauszufinden, wie sie funktionieren könnte. Genau dieses Herausfinden ist aber unser Ziel. Ob es in zehn oder fünfzig Jahren oder auch nie funktionieren wird – auf dem Weg dahin werden viele tolle Entwicklungen gemacht werden, die der Gesellschaft und dem einzelnen Menschen nutzen.“