Schweinfurt ist klein. Schweinfurt ist langweilig. Schweinfurt ist eher eine Industrie- als eine Studierendenstadt. Es gibt viele Vorurteile über die Stadt inmitten von Unterfranken. Nicht alles kann dementiert werden. Aber Schweinfurt hat mehr zu bieten. Neue Projekte der Stadt Schweinfurt und der FHWS sollen die Attraktivität weiter steigern.
Die Stadt Schweinfurt mit ihren rund 54.500 Einwohner muss sich, wenn es um ihr Image geht, einiges gefallen lassen. Für viele Studierende ist der zweite Hochschulstandort der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg/Schweinfurt (FHWS) auf den ersten Blick nicht unbedingt ihr Wunschort. Die Stadt ist klein, das stimmt, und ihr fehlt das Großstadt-Flair. Mit einem ausgedehnten Kneipenviertel, pulsierendem Campusleben oder besonderen Vergünstigungen für Studierende konnte die Stadt bisher auch nicht punkten. Das typische Studierendenleben, das jeder sich erhofft, fehlt in Schweinfurt. Das hat neben den fehlenden Freizeitangeboten einen ganz einfachen Grund: Viele der Studierenden kommen aus dem direkten Umland.
Von den aktuell knapp 3.000 Vollzeit-Studierenden in Schweinfurt haben 80 Prozent eine Heimatadresse in Deutschland, 78 Prozent unter ihnen kommen aus dem direkten Umfeld von Schweinfurt: Bei neun von zehn Studierenden beginnt die Postleitzahl der Heimatadresse mit 97. Eine auffallend hohe Zahl. Von einer breiten Streuung aus dem gesamten Bundesgebiet kann also nicht die Rede sein. International ist die FHWS mit einem Anteil von 20 Prozent ausländischer Studierender allerdings gut aufgestellt. Das liegt vor allem an den TWIN-Studiengängen, die sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache angeboten werden. Das Angebot wird von internationalen Studierenden sehr gut angenommen, was zu einer guten Auslastung des I-Campus führt.
Pendeln wegen fehlender Anreize
Im Jahr 2019 wohnten von den knapp 2.000 deutschen inländischen Studierenden nur 796 direkt in der Stadt Schweinfurt. Der größte Teil pendelte aus den umliegenden Regionen, vor allem aus dem Landkreis Schweinfurt (411), der Stadt Würzburg (206) und dem Landkreis Bad Kissingen (108). „Wenn man in der Region wohnt, ist es oft günstiger, bei den Eltern zu leben. Nach Schweinfurt zieht man, wenn das Leben hier spannender ist“, erklärt Pia Jost von der Stadt Schweinfurt. Dass Studierende lieber in Städten wie Würzburg leben würden, liege daran, dass diese ein sichtbareres und erlebbareres Campusleben als Schweinfurt hätten. „Das liegt natürlich auch an der Studierendenzahl an sich. Wenn die Zahlen steigen, wird das studentische Leben auch hier sichtbarer“, verteidigt Jost den Standort Schweinfurt. „Was in Schweinfurt sicherlich fehlt, ist ein Studierendenclub“, sagt Jost. Solche Clubs zeichnen sich dadurch aus, dass Studierende in Eigeninitiative verschiedene Programme anbieten. Das Spektrum reicht von Kneipen und Partys bis hin zu Kulturangeboten.
In Würzburg gibt es diese zwar auch nicht, allerdings ist die Auswahl an Kneipen und Clubs größer. Somit ist auch das Nachtleben vielfältiger. Die Stadt Schweinfurt sei nun an einem solchen Studierendenclub interessiert, und erste Ideen sowie Gespräche mit Studierenden gab es in der Vergangenheit ebenfalls schon. Eine städtische Immobilie könnte dafür auch bereitgestellt werden, wenn diese nicht anderweitig genutzt werde und es mindestens ein Nullgeschäft für die Stadt bedeutete. „Das scheitert im Moment allerdings noch an einer passenden Liegenschaft“, lautet der aktuelle Stand dazu. Sobald sich etwas findet, werde man sehen, ob ein von Studierenden in Eigenregie geführter Club machbar ist.
Einer der vielen Pendlerinnen und Pendler ist Jochen Schirber. Seine Heimat ist im Landkreis Rhön-Grabfeld, unweit von Schweinfurt. Er studiert im vierten Semester Wirtschaftsingenieurwesen und pendelt zur Hochschule. Nach seinem Fachabitur hat er sich für die Stadt Schweinfurt entschieden. Warum? „Ich wollte nicht zu weit weg von Zuhause“, sagt er. In der „Industriestadt“ wohnen wollte er allerdings nicht. Aus diesem Grund hat er sich ein WG-Zimmer in Würzburg gesucht, auch wenn er in Würzburg etwas mehr Miete zahlt und täglich pendelt. Und das, obwohl er die Zugfahrt selbst zahlen muss – denn die Zugstrecke Würzburg-Schweinfurt ist im Semesterticket der FHWS nicht enthalten. Das mache ihm aber nichts aus. „Würzburg bietet viel mehr für Studierende, man kann mehr machen“, sagt er. Viele Studierende, Kneipen und Bars, das beliebte Mainufer in Würzburg. Auch von Jochens Studienkollegen pendeln die meisten, er kennt fast niemanden, der in Schweinfurt wohnt. Was seiner Meinung nach für die Stadt wichtig wäre: „Schweinfurt müsste auf jeden Fall hinbekommen, dass es weniger Pendelende gibt“, findet er. Wenn man dort wohne, bekäme man vielleicht mehr von der Stadt mit. Allerdings gebe es einfach zu wenig Studierende vor Ort. Es sei schwieriger, Anschluss zu finden.
Positionierung als Studierendenstadt
Es ist also ein Teufelskreislauf: Zu einer Studierendenstadt gehören Studierende. Diese ziehen aber lieber in Studierendenstädte. Dabei ist es sehr wichtig, bundesweit mehr Studierende nach Schweinfurt zu locken, damit es weniger Pendelende gibt, das Studierendenleben aufblüht und die Stadt für zukünftige Studierende attraktiver wird. Das ist sowohl der Hochschule, als auch der Stadt bewusst. „Wir arbeiten alle daran, mehr Studierende aus dem Bundesgebiet zu gewinnen“, sagt Jost. Ein Ansatz ist die Positionierung als einzigartiger Standtort für die Robotik, durch den ersten grundständigen Bachelorstudiengang für Robotik in Deutschland. Dieser startet im Wintersemester 2020/21 in Schweinfurt. Das Motto, das FHWS-Präsident Prof. Dr. Robert Grebner initiiert hat, lautet: Denke Robotik denke Schweinfurt. Durch die Gründung des neuen Studiengangs in deutscher und englischer Sprache wurden 260 neue Studienplätze geschaffen, die Interessenten aus ganz Deutschland und dem Ausland auf Schweinfurt aufmerksam machen sollen.
Echtes Campus-Gefühl wird am Hochschulstandort Schweinfurt verstärkt durch neue Wohnheimplätze sowie den neuen Campus auf dem Gelände der ehemaligen Ledward Barracks. Seit dem Abzug der US-Soldaten im Herbst 2014 wird dieses Areal umgebaut und soll nun für Schweinfurt - als einer der bedeutendsten Industriestädte in Bayern - zum Schaufenster für Industrie 4.0 werden. Digitalisierung und Internationalisierung stehen hier im Mittelpunkt – zwei Schlüsselthemen für die Zukunft von Schweinfurt und der Hochschule. Labore mit neuester Technik bieten nicht nur Studierenden und Professoren Vorteile, sondern auch der Großindustrie vor Ort. „Wir wollen kein Elfenbeinwissen vermitteln, wir suchen den Kontakt mit Industrie und Gesellschaft“, betonte FHWS-Vizepräsident und Prodekan Wolfgang Fischer bereits im Februar 2017 in einem Gespräch mit der Main-Post. Die Kooperation mit der ansässigen Wirtschaft ist ein Kernelement der FHWS, die nun durch den neuen Bau gefestigt wird und den Studierenden die Chance auf praktische Arbeitserfahrung bietet.
Die Zukunft lässt hoffen
Die Stadt Schweinfurt arbeitet an neuen Konzepten, die sich zurzeit noch in der Ideenphase befinden. Dazu gehören beispielsweise sogenannte Maker-Spaces. Das sind moderne, offene Werkstätten und Kreativräume. Hier können sich kreative Macherinnen und Macher zusammenfinden und gemeinsam an unterschiedlichen Projekten arbeiten. „Wir würden Studierenden einen Ort schaffen, an dem sie Ideen umsetzen können“, erklärt Pia Jost die Intention dahinter. Als Orte der kreativen Zusammenkunft ermöglichen sie einen ständigen Austausch von Personen unterschiedlicher Fachrichtungen und somit auch die individuelle Weiterentwicklung.
Dass Schweinfurt im Moment keine typische Studierendenstadt ist, kann man nicht bestreiten. Aber: Der Main fließt auch durch Schweinfurt. Man kann also auch hier mit Mitstudierenden gesellig zusammensitzen. Kneipen und Bars gibt es ebenfalls. Außerdem kann Schweinfurt mit einem Baggersee, einem Klettergarten, vielen Sportangeboten, einem regen Kulturprogramm und interessanten Gastronomien punkten. Im Stattbahnhof finden regelmäßig Konzerte statt. Schweinfurt bietet viel mehr, als man denkt, wenn man den Vorhang der herrschenden Vorurteile beiseiteschiebt. Vor allem durch den Bau des neuen Campus tun sich viele neue Möglichkeiten auf. Der „Teufelskreis“ der Nicht-Studierendenstadt könnte jetzt also unterbrochen werden und die Zahl der Studierenden steigen. Zukünftig wird sich zeigen, ob Schweinfurt im Vergleich mit derzeit beliebteren Städten nicht doch mithalten kann und sich Pendelnde langfristig für eine Wohnung in Schweinfurt begeistern können. Pia Jost ist zuversichtlich: „Dass das Studierendenleben mehr aufblüht, daran glauben wir!“